Herrn
Landrat Dr. Richard Sigel
Nachrichtlich an die Mitglieder des Kreistages

Klimaneutralität 2035 des Rems-Murr-Kreises

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Sigel,

zunächst möchten wir uns dafür bedanken, dass wir beim Bürgerdialog in Kernen zum Handlungsprogramm Klimaschutz des Landkreises teilnehmen konnten. Wir haben uns auch gefreut, dass Sie zusammen mit Ihrem Kollegen aus dem Ostalbkreis unsere Idee einer schwäbischen Route du Soleil mit Photovoltaik an der B 29 von Fellbach bis Aalen tatkräftig unterstützen.

Mit diesem Schreiben wollen wir nochmals darlegen, dass der fortschreitende Klimawandel von allen politisch Verantwortlichen schnelles und konsequentes Handeln erfordert.

Unser zentrales Anliegen ist, dass sich der Rems-Murr-Kreis dazu bekennt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Er folgt damit dem Beispiel zahlreicher Städte und Gemeinden, aber auch anderer Landkreise. Wie beim Bürgerdialog vielfach geäußert wurde, reicht es nicht aus, sich auf die kreiseigenen Liegenschaften und Tochter-Gesellschaften des Landkreises zu beschränken.

Für den Weg zur Klimaneutralität 2035 muss eine aktuelle Treibhausgasbilanz erstellt werden, die den gesamten Landkreis und alle Bereiche umfasst. Ansatzpunkt dafür kann das kreisweite, integrierte Klimaschutzkonzept des Landkreises aus dem Jahr 2012 sein, das vom Wuppertal Institut erarbeitet wurde. Mit dem darin enthaltenen „Masterplan Klimaschutz 2024“ wurden Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Wärme und Energie vorgeschlagen, die eine Minderung des CO2-Ausstoßes von 10 Prozent alle 5 Jahre und damit eine Klimaneutralität erst bis 2050 ermöglichen.

Zum Ausbau erneuerbarer Energien heißt es schon 2012: „Auffällig ist der bislang nur sehr geringe Anteil regenerativer Stromerzeugung im Rems-Murr-Kreis, obwohl der Landkreis hier erhebliche Potenziale besitzt. Bei Ausschöpfung dieser Potenziale ließe sich der aktuelle Stromverbrauch des Rems-Murr-Kreises bilanziell durch lokale und regenerative Quellen decken. Die größten Potenziale bestehen in der Nutzung der Windkraft, der Photovoltaik und der Geothermie.“

“Die im Vergleich zum Bundesdurchschnitt deutlich unterdurchschnittliche Regenerativstromerzeugung im Rems-Murr-Kreis sei ein Indiz dafür, dass vorhandene Hemmnisse und Vorbehalte zukünftig noch stärker durch Beratungs- und Informationsmaßnahmen abgebaut werden sollten, um die weiteren Klimaschutzpotenziale erschließen zu können.”

Der aktuelle Energieatlas des Landes zeigt, dass im Rems-Murr-Kreis nach wie vor ein großes Potenzial zur Nutzung erneuerbarer Energien besteht. Allein im Rems-Murr-Kreis gibt es ein Potenzial für Photovoltaik (Dächer und Solarparks) und Windenergie von fast 17.000 GWh/a (=17 Mrd. kWh/a) bei einem derzeitigen Stromverbrauch von etwa 1.700 GWh/a.

Auch bei einem auf 2.000 GWh/a steigenden Stromverbrauch könnte mit einem geringen Teil dieses Potenzials ein Großteil des Stromverbrauchs des Jahres 2030 im Kreis bilanziell abgedeckt werden, wobei sich PV und Windenergie sinnvoll ergänzen.

Bestand und Potenzial erneuerbarer Energien im Rems-Murr-Kreis in GWh/a (Energieatlas Baden-Württemberg und eigene Berechnungen):

In der Nutzung dieses Potenzials liegen große Chancen für den Klimaschutz, aber auch für die nachhaltige Sicherung der Energieversorgung. Der Rems-Murr-Kreis liegt sowohl bei der Nutzung der Photovoltaik (PV) auf Dächern, der Freiflächen-PV und der Windenergie weit unter dem Landesdurchschnitt. Zum Vergleich: 4 Windkraftanlagen im Rems-Murr-Kreis, 50 Anlagen im Landkreis Göppingen, 99 Anlagen im Landkreis Schwäbisch-Hall (Quelle: Erneuerbare Energien in Baden-Württemberg, Umweltministerium, Oktober 2021).

Das Land Baden-Württemberg will bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 65 % reduzieren. Dafür müssen mindestens 2 % der Landesfläche für Windkraft und Solarparks genutzt werden. Das jüngst veröffentlichte Gutachten renommierter Forschungsinstitute zeigt, dass die klimapolitischen Ziele des Landes nur mit einem kurzfristigen und massiven Ausbau von Photovoltaik und Windkraft zu erreichen sind.

Das Klimaschutzgesetz (KSG) des Landes enthält in § 8 eine allgemeine Verpflichtung zum Klimaschutz, die auch für die Landkreise gilt:

(1) Jeder soll nach seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung der Klimaschutzziele, insbesondere durch Energieeinsparung, effiziente Bereitstellung, Umwandlung, Nutzung und Speicherung von Energie sowie Nutzung erneuerbarer Energien beitragen.

(2) Das allgemeine Verständnis für die Ziele des Klimaschutzes ist mit geeigneten Mitteln zu fördern. Die staatlichen, kommunalen und privaten Erziehungs-, Bildungs- und Informationsträger sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten über Ursachen und Bedeutung des Klimawandels sowie die Aufgaben des Klimaschutzes aufklären und das Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit Energie fördern.

Nach § 11 Abs. 3 KSG haben die Behörden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Zuständigkeit bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung beschlossenen Ziele dieses Gesetzes zu berücksichtigen.

Das Umweltbundesamt hat sich mit der Rolle kommunaler Klimaschutzkonzepte beschäftigt und festgestellt, dass das Ziel der Treibhausgasneutralität von allen politischen Ebenen eine umfangreiche Transformation und ein Ausschöpfen der kommunalen Handlungsmöglichkeiten in allen Einflussbereichen verlangt, siehe umweltbundesamt.de/themen/klimaenergie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/kommunaler-klimaschutz

Bundestag und Bundesrat haben kurz vor der Sommerpause wichtige gesetzliche Maßnahmen beschlossen. In § 2 des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) heißt es nun: „Errichtung und Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.“

Auf unsere Initiative hat der Gemeinderat Weinstadt – wie andere Gemeinderäte im Rems-Murr-Kreis – den einstimmigen Beschluss gefasst, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen.

Städte und Gemeinden dürfen beim dringend notwendigen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien nicht allein gelassen werden. Im Gegenteil: Kommunen müssen ermuntert werden, die Potenziale zum Ausbau erneuerbarer Energien in ihrem Verantwortungsbereich kurzfristig zu identifizieren, einer Nutzung zuzuführen und damit ihren Beitrag zur Erreichung des 2%-Ziels zu erbringen. Wie wir an verschiedenen Stellen in den Bürgerdialogen gesehen haben, sind die Gemeinden des RMK ganz unterschiedlich weit auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Es ist aus unserer Sicht zwingend erforderlich, dass Sie, Ihre MitarbeiterInnen und der Kreistag federführend eine Rolle übernehmen, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Landkreis deutlich beschleunigt. Diese übergeordneten politischen und juristischen Prozesse, die z. B. auch generelle Fragestellungen zur Suche und Genehmigung von Standorten für Solar- und Windparks beinhalten, sollten auch in der Formulierung Ihres 4. Klimaschutz-Handlungsprogramm beschrieben sein und als belastbares Angebot zur Unterstützung der Städte und Gemeinden verstanden werden.

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien können wir die Energieversorgung nachhaltig sichern und zur regionalen Wertschöpfung beitragen. Wie wir aus unseren Gesprächen mit VertreterInnen der Wirtschaft wissen, wird die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien immer mehr zum Standortvorteil im nationalen wie internationalen Wettbewerb. Das gilt in besonderem Maße für den wirtschaftsstarken Rems-Murr-Kreis.

Sehr geehrter Herr Landrat, das KlimaBündnis Weinstadt appelliert daher an Sie und die Mitglieder des Kreistags, den Rems-Murr-Kreis bis 2035 klimaneutral zu machen und dazu auch den Ausbau erneuerbarer Energien kurzfristig und massiv voranzubringen.

Vor dem Hintergrund des immer kleiner werdenden CO2-Emmissionsbudgets und der Problematik der Kipp-Punkte in unserem Klimasystem gibt es nur noch ein sehr geringes Zeitfenster, um nachhaltigen Klimaschutz zu etablieren und den Rems-Murr-Kreis auf den 1,5°-Pfad zu führen.

Wir möchten Sie an dieser Stelle eindeutig ermutigen, sich hier gemeinsam mit Ihrem Kreisrat an die Spitze zu setzen und mit der Benennung dieses klaren Ziels ein deutliches Ausrufezeichen in den Kreis und in die Region Stuttgart zu senden.

Die Klima-Bündnisse aus Backnang, Kernen, Remshalden, Schorndorf und Waiblingen tragen diesen Brief mit.

Mit freundlichen Grüßen vom KlimaBündnis Weinstadt

Günter Auch, Dr. Miriam Ehret, Jana Flemming, Jürgen Frank, Karl Greißing, Claus Hainbuch, Jörg Hubschneider, Philip Jähne, Albert Munder, Dr. Siegfried Munder, Dr. Manfred Siglinger, Volkmar Webersinke-Matejka